BME/IHK-Region Bodensee-Oberschwaben

10.05.2018

11. Internationales Bodensee-Forum: Auf dem Weg zum Einkauf 4.0

Foto: Tobias Anslinger/BME

Zum elften Mal trafen sich Einkäufer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zum mittlerweile schon traditionellen Erfahrungsaustausch am Bodensee.

Bei 202 angemeldeten Teilnehmern mussten wir abriegeln“, sagte ein sichtlich zufriedener Volkher Lins, Vorstandsvorsitzender der BME-Region Bodensee-Oberschwaben. Die Organisatoren setzten das 11. Internationale Bodensee-Forum für Einkauf und Materialwirtschaft*, das eine Gemeinschaftsveranstaltung der BME-Region Bodensee-Oberschwaben, dem Schweizerischen Fachverband für Einkauf und Supply Management (procure.ch) sowie dem Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich (BMÖ) ist, unter das Leitthema „Einkauf 4.0 – wo stehen wir und wo geht die Reise hin?“. Damit schloss das diesjährige Forum inhaltlich nahtlos an jenes im vergangenen Jahr an.

Der rege Zuspruch zeigte, dass sich dies als richtige Entscheidung erwies. „Die Digitalisierung in Unternehmen ist in vollem Gange, der Einkauf 4.0 steht noch am Anfang. Es gibt also noch reichlich Gesprächsstoff und vieles zu diskutieren“, so Lins.

Einkauf drängt in die Produktentwicklung

In seiner Keynote stimmte Florian C. Kleemann, Professor für Supply Chain Management an der Hochschule München (ein Porträt Kleemanns sowie die Schwerpunkte der Hochschule lesen Sie übrigens in BIP 3/2018), die Teilnehmer auf einen kompakt-informativen Nachmittag ein. Von der Industrie 4.0, in der Maschinen und Fabriken echtzeitfähig, intelligent sowie horizontal und vertikal miteinander vernetzt sind, leitete Kleemann die Herausforderungen für den Einkauf 4.0 ab. Denn ein Abgleich wesentlicher Digitalisierungsanwendungen mit den Kernprozessen des Einkaufs zeige hohe Überschneidungen. „Die Frage ist also, wie diese drei Voraussetzungen den Einkauf verändern“, schlussfolgerte Kleemann. Folgt man den Ausführungen des Wissenschaftlers, ist die Antwort: grundlegend. So könne der Einkauf künftig etwa zu einem entscheidenden Treiber in der Produktentwicklung werden, „und zwar durch gezieltes Scouting und gezielte Integration von innovativen Beschaffungsobjekten“, prophezeit Kleemann. Der Einkäufer entwickle künftig gemeinsam mit dem Lieferanten „smarte“ Produkte, also jene, die die Voraussetzung dafür sind, dass Industrie 4.0 überhaupt funktionieren kann. Er wird so zum Rahmen- und Prozessmanager.

Gleichzeitig warnte Kleemann aber auch davor, Einkauf 4.0 als vermeintliche Prozessoptimierung mittels IT-Lösungen zu betrachten. „Wer schlechte Prozesse im Unternehmen hat, der hat hinterher einfach schlechte digitalisierte Prozesse.“ Er machte deutlich, dass im Rahmen einer ernstzunehmenden Digitalisierungsstrategie der Blick immer über Funktionsgrenzen im Unternehmen hinausgehen muss. „Digitalisierung kann keine Einzelinitiative des Einkaufs sein, eine Einkauf-4.0-Strategie alleine wäre zu wenig“, sagte er. Von Unternehmen wünsche er sich mehr Realismus in der Einschätzung ihres eigenen Digitalisierungs-Reifegrades sowie mehr Mut zum ersten Schritt: „Sie müssen nicht heute Abend noch nach Hannover aufbrechen“, spielte er auf die parallel stattfindende Hannover Messe an. Doch einen ersten Schritt könne jeder machen – und sei es nur, die Prozesse im Unternehmen einmal grundlegend zu durchleuchten. Die digitale Transformation ist eben Kärrnerarbeit und beginnt lange vor dem Einsatz eines IT-Tools.

Digitalisierte Wischmops

Einen Werkstattbericht dieser Wandlung hin zu einem digitalisierten Unternehmen gab Simon Meinschad, Geschäftsführer der hollu Systemhygiene GmbH in Zirl/Tirol. Bis 2025 möchten Meinschad und sein Team den Transformationsprozess des Familienunternehmens mit seinen 400 Mitarbeitern abgeschlossen haben. „Wir schaffen es schon früher“, sagte er schmunzelnd. Wer denke, Reinigung ließe sich doch nicht digitalisieren, liege leider falsch, begann Meinschad seine Ausführungen. Reinigungsmaschinen, die wissen, an welchen Tagen der Boden mit welchen Mitteln zu säubern ist und die sich selbstständig um die Wiederbefüllung der leeren Tanks kümmern; Wischmops mit eingebauten RFID-Chips, die signalisieren, wann der Bodenwischer getauscht werden muss, um einen konstant hohen Hygienestandard etwa in Krankenhäusern zu gewährleisten: All das sei nicht Zukunftsmusik, sondern bereits Realität. In Kürze wolle das Unternehmen eine App auf den Markt bringen, die mittels Bildern und Videos Schritt für Schritt zeigt, wie zum Beispiel ein bestimmtes Gebäude gemäß den Bedarfen des Kunden gereinigt werden muss.

Was die Digitalisierungsstrategie von hollu, die das Unternehmen übrigens über ein „Master Cockpit“ steuert, für den Einkauf bedeute, wollte Heinz Pechek, Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich (BMÖ), wissen. „Wir haben den kompletten Prozess der Lieferantenbefragung und -bewertung verändert und digital gemacht“, erläuterte Meinschad. „Unsere Lieferanten müssen heute in der Lage sein, innovative und digitale Themen mit uns gemeinsam zu entwickeln.“ Für viele Lieferanten sei das herausfordernd. Doch Meinschad ist überzeugt, damit den richtigen Weg eingeschlagen zu haben.

In sechs Jahren 34,7 Millionen Franken eingespart

Der Schweizer Lebensmitteleinzelhandel ist traditionell eine sehr spezielle Branche. „Entweder man wächst als Migros-Kind oder als Coop-Kind auf“, sagte Mauro Manacchini, Leiter strategische Beschaffungs-Services & Supply Chain Management bei Coop in Basel und deutet damit die immer noch bestehende Vormachtstellung der beiden Schweizer Handelsriesen an. Doch die Discounter holen auf und die Platzhirsche müssen sich anstrengen – und verändern. Den Einkauf betrifft das im besonderen Maße, sind doch die Supply Chain-Kosten und die Kosten der sogenannten „Nichthandelswaren“ zwei der drei Hauptkostentreiber eines Handelsunternehmens.

Manacchini hatte eine ambitionierte Zielvorgabe bekommen: von 2009 bis 2015 jährlich 20 Millionen Franken einsparen. Geschafft hat er 34,7 Millionen. Wie er das gemacht hat? „Durch eine neue Form der Lieferantenbewertung und -zusammenarbeit“, erklärte Manacchini. Eine Lieferanten-Scorecard, gemeinsam festgelegte Ziele und monatliche Besprechungen der Lieferperformance ebneten den Weg für die weiteren Digitalisierungsbestrebungen des strategischen und operativen Einkaufs bei Coop. Predictive und Prescriptive Analytics, der Einsatz von Bots oder eine vollautomatisierte Supply Chain, die eine friktionsfreie Kommunikation von der Verkaufsstelle bis zum Lieferanten ermöglicht, sind die Themen der nahen Zukunft. Doch er weiß: „Erst wenn wir die internen Hausaufgaben erledigt haben, ist es an der Zeit, sich mit der Evaluation geeigneter IT-Tools zur Digitalisierung der Einkaufsprozesse zu beschäftigen.“

Roadmap auf dem Weg zum Einkauf 4.0

„Wir brauchen eine Roadmap für die Digitalisierung in unserem Einkauf“, lautete der Titel des Vortrags und zugleich die Forderung von Erich Graf, Vice President Corporate Procurement bei Diehl Controls aus Wangen im Allgäu. Wie bei vielen anderen Unternehmen auch, haben sich bei Diehl Controls über die Jahre verschiedene „Dateninseln“ mit jeweils eigenen Softwarelösungen für die unterschiedlichen Anforderungen des Einkaufs gebildet. Zwar beschäftige sich das Unternehmen schon länger mit der Digitalisierung, doch heute sei die Herangehensweise viel ganzheitlicher: Datenkonnektivität sowie Daten- und Prozessstandardisierung seien die Herausforderungen der Stunde, so Graf. Bei der Auswahl der künftigen SRM-Systemlösung entschied sich Diehl Controls für einen „Bottom up“-Ansatz: „Wir haben einen Berater zur Marktsondierung beauftragt, der uns dabei helfen soll, den richtigen Berater zu finden“, sagte Graf.

Mit dieser Aufgabe betraut wurde schließlich der IT-Dienstleister Camelot: Stefan Oberlik, Managing Consultant bei Camelot, unterstützt nun Erich Graf und sein Team nicht nur in der Erstellung, sondern auch in der Verfolgung der Digitalisierungs-Roadmap im Einkauf bei Diehl Controls. Er zeigte auf, dass Kunden in einem Digitalisierungsprojekt zahlreiche Parameter wie Zeit, Budget und Softwareanbieter-Auswahl in Einklang bringen müssen. Bei der Einführung einer neuen SRM-Systemlösung seien neben Projektmanagern immer auch Change Manager gefragt. Die Zusammensetzung des Projektteams sei dementsprechend von hoher Bedeutung für den Erfolg eines solchen Projekts. Im Projekt bei Diehl Controls setzt man auf sogenannte „Requirement-IDs“, um in allen Projektphasen stets den Überblick zu behalten.

Termin für 12. Bodensee-Forum angekündigt

Das Internationale Bodensee-Forum für Einkauf und Materialwirtschaft findet jährlich im April im österreichischen Dornbirn statt. Gastgeber ist das Wirtschaftsförderungsinstitut (WIFI) der Wirtschaftskammer Vorarlberg. Das 12. Bodensee-Forum wird voraussichtlich am 9. April 2019 stattfinden.

*vom 11. Internationalen Bodensee-Forum für Einkauf und Materialwirtschaft berichtete Tobias Anslinger, BME


Bildergalerie

10. Mai 2018

11. Internationales Bodensee-Forum: Auf dem Weg zum Einkauf 4.0

Zum elften Mal trafen sich Einkäufer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zum mittlerweile schon traditionellen Erfahrungsaustausch am Bodensee. Der Andrang war enorm, was auch zeigt, wie groß der Bedarf an Erfahrungsaustausch beim Thema Digitalisierung noch ist. Reger Andrang herrschte beim 11. Internationalen Bodensee-Forum in Dornbirn.

Weiterempfehlen

Ansprechpartner

Volkher Lins Vorsitzender, Delegierter
07541/90-8061
0176 1790-1047